Mögen Sie Krimis, liebe Leser*innen? Ich nicht.
Umso mehr freut es mich, Ihnen von Tom Coopers 2015 erschienen Roman “The Marauders” erzählen zu können. Den vom Ullstein Verlag höchst unglücklich gewählten Titel “Das zerstörte Leben des Wes Trench”, wollen wir hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen und sofort wieder vergessen. Denn dieser Fehlgriff ist das einzig wirkliche Ärgernis, das uns mit diesem traumhaft unterhaltsamen, unverschämt und packend erzähltem Buch geliefert wird.
Statt der ewigen Klischees (New York oder irgendwie Nordeuropa, wortkarger Kommissar mit Alkohol- und Eheproblemen, Sie wissen was ich meine) erwartet uns der Amerikanische Süden; ein Küstenstreifen am Golf von Mexiko, um ganz genau zu sein. Hier, inmitten unzähliger Sandbänke und Wasserläufe, im Zentrum eines verworrenen Flusssystems südlich des Mississippi, zwischen Buchten und Kanälen, begegnet uns ein wahrhaftiges Panoptikum gescheiterter Gestalten. Wes und sein Vater, die Shrimpfischer sind und sonst nicht viel gemeinsam haben als einen tragischen Verlust; Lindquist, der einarmige, halb wahnsinnige Glückspirat und die gleichermaßen skrupellosen wie erfolgreichen Toup-Zwillinge, sind nur Teile des Ensembles.
Im Zentrum der Erzählungen, die Cooper mehr skizziert als ausarbeitet, steht jedoch das Sterben einer Landschaft. Das Öl der Deepwater Horizon, die Verwüstungen durch Hurricane Katrina, aber auch und die unbemerkten, alltäglichen Katastrophen, haben in dem artenreichen Paradies, dass die Barataria Bay einstmals gewesen ist, unübersehbare Spuren hinterlassen. Der Tod steckt in den Böden, wirkt in den Geschöpfen fort und wütet längst auch in den Männern, die, obwohl die Netze immer öfter leer bleiben, Jahr für Jahr hinausfahren, um ihren großen Fang zu machen. Es ist dieser Prozess des Untergangs, das Sterben eines ganzen Biotops, der mich als Leser bei den Hörnern packt.
Man kann, wie Ana Maria Michel es in der Zeit getan hat, bemängeln, dass es den Figuren an doppelbödigkeit und Farbe fehlt. In diesem Roman ist man immer hundertprozentig, egal ob wütend oder kriminell oder einfach nur betrunken. Entsprechend klar ist Coopers Sprache, die sich aus der Tradition alter Hardboiled-Krimis speist. Jedoch dürfte er neben Raymond Chandler und Donald Ray Pollock auch Cormac McCarthy und William Faulkner studiert haben. Denn auch wenn es so scheinen mag, sind Coopers Schilderungen von Gewalt und Elend nie nur Budenzauber oder Voyeurismus, sondern dienen ihm und uns als Kontrastmittel. Erst vor diesem Hintergrund, durch die Unausweichlichkeit der Folgen ihrer Unbeirrbarkeit, werden aus Charakterschattenrissen ernstzunehmende Figuren. Wie seine großen Vorbilder hat Cooper verstanden, dass Tiefgründigkeit und Komplexität nicht zwangsläufig dasselbe sind. Denn letzteres ist ein Privileg, dass man sich leisten können muss.
Sollte Ihr Interesse geweckt worden sein, finden sie eine gebundene Ausgabe von “Das zerstörte Leben des Wes Trench”, sowie eine von Johannes Steck gelesene Hörbuchversion (erschienen bei HörbucHHamburg) in unserem Bestand.
Berlin : Ullstein, 2016, 382 Seiten, ISBN: 978-3-550-08096-8